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               Georg Engenberger, ca 1670, Generation I

 

 

Wann immer ich mich von zu Hause wegschleichen kann, laufe ich den Gehrenberg hinauf. Hier kann ich meine Gedanken schweifen lassen.

Vor mir der große Bodensee. Und die Alpen, die ich bei gutem Wetter sehen kann. Doch gutes Wetter ist selten bei uns. Meist ist es feucht, es regnet viel und Sonnentage gibt es wenige.

Meine Mutter erzählt oft, dass die Hexen schuld sind. In ihrer Jugend, die sie in Wasserburg verbrachte, habe man viele von ihnen hingerichtet. Sie haben Mensch und Vieh verhext und konnten böse Wetterzauber.

Als Mädchen hat sie wohl immer wieder mit den anderen Kindern den „Engelsgesängen“ gelauscht. So nannten sie die Schreie der Beschuldigten, wenn sie im Turm „peinlich befragt“ wurden.

Das will ich mir gar nicht vorstellen. Denn ich weiß, dass es nicht nur die alten Frauen waren, die im Turm unter der Folter gestanden. Es waren auch einige Kinder dabei. Das jüngste ein Knabe von neun Jahren.

Gereicht hat es nicht, dass viele von ihnen im Feuer umgekommen sind. Das Wetter ist noch immer schlecht.

Aber Hexenprozesse gibt es keine mehr.

Hinter den Alpen, so erzählen sie, liegt das warme Italien. Ringsherum ein Meer. Die Fugger, die reichste Familie in der Gegend, bringen von dort schöne Stoffe und die seltsamsten Früchte.

Die können sich dann die reichen Kaufleute erwerben.

Für mich bleiben die Träume.

Ich träume davon, einst auch von hier weg zu gehen. In ein Land, indem das Korn besser wächst und das Vieh gedeiht.

Irgendwann, wenn ich ein alter Mann sein werde, wird eines meiner Kinder – ich werde sie Anna Maria nennen – mit ihrem Mann die Reise antreten.

Ihr Ziel wird wohl nicht Italien sein.

Aber ein Land, in dem es warme Sommer geben wird.

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