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         Kilian Hambach. Geboren 1678. Generation II

 

 

So nennen sie mich. Geboren im Jahre 1678. Auf dem Hof meiner Eltern, in Aschaffenburg, in Unterfranken. Oder auf dem was davon blieb. Das Haus meiner Familie wurde erbaut, lange bevor mein Vater geboren wurde. Doch der Krieg, der dreißig Jahre währte, machte uns arm. Die immer wieder aufflammenden „kleinen“ Kriege, haben unseren Hof in erbärmlichem Zustand zurückgelassen.

Ich bin der Zweitgeborene. Es ist im Grunde ein Segen, dass von den 15 Kindern, die meine Mutter geboren hat, am Ende nur mein Bruder und ich geblieben sind.

Mehr hätte der Hof auch nicht ernähren können.

Die Geburt des Jüngsten im letzten Winter hat meiner Mutter das Leben gekostet.

Der Peter, der Älteste von uns Kindern, hat sich nun ein Weib genommen und braucht mich als Knecht nicht mehr. Er hat mir mein Erbe ausbezahlt. Von meinem Lehnsherr habe ich mich frei gekauft und werde mich nun, frei von Schulden, nach Osten einschiffen.

Der Pest, die in viele Dörfern keine Seele übrig ließ, hat mich verschont. So vertraue ich auf Gott, dass ich auch diese Reise lebend überstehen werde.

Vor den Wirtshäusern finden sich die Werber des Prinzen Eugen ein. Sie erzählen von den Ländern an der Donau, die der Prinz und der Türkenluis, der Herzog von Württemberg, von den Muselmanen befreit haben. Die Werber versprechen freie Fahrt von Donau aus, bis nach Wien und weiter bis nach Budapest. Sie sagen, ein jeder, der einen Hausstand gründen will, erhält zwei Ochsen, eine Kuh, Ziegen, Hausrat und ein Stück Land.

Dort, wo sie die blutrünstigen Osmanen vertrieben haben, will der Kaiserliche Hof nun deutsche Bauern ansiedeln. Damit das Land wieder zu Wohlstand kommt.

Deutsche gab es schon lange dort. Doch die Türken haben einen jeden ermordet, der ihnen im Weg stand. Nun sind nur noch einige Soldaten an der Grenze des kaiserlichen Reiches. Und die alleine vermögen nicht, das Land zu bestellen.

Zu verlieren habe ich hier nichts. Und dort werde ich mit Gottes Hilfe Land und ein Haus bekommen. Nur ein Weib fehlt mir noch.

Ausgesucht habe ich mir schon eine. Die Magdalena. Ich weiß wohl, dass sie schon dem Jungen vom Kürschner versprochen ist. Aber ich will sie trotzdem haben.

Der Kürschnersohn ist ein Depp. Der ist vom vielen Gerben dumm geworden.

Sie sagen, der kriegt sonst keine Frau. Und die Magdalena sei das Kind einer Hexe. Die will sonst keiner.

Aber von diesem Aberglauben halte ich nichts. Der Kürschner soll die Magdalena nicht bekommen. Und sie will ihn auch gar nicht.

Als mein Weib ist sie gerade recht. Sie ist jung und an Arbeit gewöhnt. Sie wird mir genug Kinder gebären, um einen Hof umzutreiben.

So habe ich für sie etwas Hübsches gekauft. Ein Berliner Tuch. Das tragen die Weiber gerne  um den Kopf und den Leib geschlungen, oder binden sich damit die Säuglinge vor die Brust.

Ich habe ihr von den grünen Tälern und den warmen Sommern im Ungarenland erzählt. Und von Haus und Hof, das wir haben werden. Und weil sie die Kälte hier satt hat, und sich freut, wenn sie nicht zu dem stinkenden Kürschnersohn gehen muss, gibt sie mir ihre Hand.

Dafür gebe ich dem Bauern, der ihr Arbeit und ein Dach gegeben hat, ein hübsches Sümmchen.

 

Eine kurze Zeit kommen wir in Oberndorf unter, wo ich noch Verwandte habe. Aber lange geht das nicht gut. Wir siedeln um nach Krombach und verdingen uns als Tagelöhner. Die Zeiten sind hart. Von unseren Kindern bleiben uns wenige. Besser so. Zu essen gibt es immer zu wenig.

Doch endlich, im Jahr 1730. machen wir uns auf den Weg nach Ulm.

 

 

Wiener Zillen, so nennen sie die Boote auf der Donau. Sie sind stabil und für den Transport von Ware und Vieh gemacht.

Der hölzerne Aufbau, den sie für die Aussiedler auf den Booten errichten, schützt vor dem kalten Regen.

Und auch wenn es auf den Zillen mehr als eng wird, und die Magdalena und die Kinder vor dem Wasser fürchten, so reisen wir doch sicher bis nach Wien.

 

Dort werden wir registriert und erhalten wirklich Vieh und Hausrat, Verpflegung und ein jeder, dem es schlecht geht wird von den Badern versorgt. Je weiter wir die Donau hinunter fahren, je wärmer wird es.

Als wir das Donauknie erreichen, und von den Gutsverwaltern empfangen werden, sind die Tage so heiß, wie ich es in der Heimat nie erlebt habe. Wir Neusiedler werden auf den Gutshof gebracht.

Ein jeder soll eine Hofstatt erhalten. Von denen gibt es viele. Sie sind verlassen, oft halb niedergebrannt und brauchen ein gutes Stück Arbeit, um bewohnt zu werden.

Viele von uns bleiben. Doch einige fürchten sich vor dem Sumpffieber, von dem wir gehört habe.

Eine Handvoll Neusiedler zieht ins Ofener Bergland, eine Tagreise von Budapest.

Dort ist es kühler und es soll kein Fieber geben.

Die königlichen Soldaten begleiten uns bis zur Siedlung Dorog. Auch dort wurde viel zerstört. Aber wir sind bereit zu arbeiten. Nur Land erhalten wir noch nicht. Wir ziehen durch einige Dörfer, darunter Üröm und Weinberg. Irgendwann landen wir wieder in Dorog.

 

Wir verdingen uns als Tagelöhner, denn auch hier kommt es mit der Landverteilung nicht recht voran.

Unsere Tochter Margarethe kommt noch in Dorog zu Welt. Aber ich habe mich entschlossen, nach  Tscholnok zu ziehen.

Der Graf Zichy hat für die Neusiedler einen Vertrag aufgesetzt, den ihnen nun das Recht gibt, einen Hof zu erwerben. Die Pest hat in Tscholnok gewütet und etliche Hofstellen sind verlassen, die früheren Bewohner an der Seuche gestorben. Gegen eine kleine Gebühr können wir ein solches Haus erwerben. Zudem erhalten wir ein Stück Land, das sich für den Weinbau und den Obstanbau eignet.

Zwar hat meine Magdalena Bedenken, sie hat Angst, die Pest könnte noch im Haus sitzen. Doch die alten Mauern müssen sowieso weitgehend erneuert werden. Alle Häuser der Siedler müssen nach den Vorgaben des Prinzen Eugen gebaut sein. Um zu vermeiden, dass ein Feuer auf andere Häuser übergreifen kann. 

Beim Aufbau des Hauses können wir auf die Hilfe der Neusiedler zählen.

Die Siedler von Tscholnok halten zusammen. Alles rechtschaffene Schwaben.

Immer mehr Schwaben sind gekommen, um die brachen Felder wieder zu bewirtschaften und die alten Höfe aufzubauen. Viele Familien kommen aus Biberach im Unterland, aus Pfullendorf im Hegau, einige aus unserer alten Heimat sind auch dabei. Gut, dass wir vor ihnen hier waren. Denn langsam werden die Felder, die nahe am Ort liegen, weniger. Die Neuankömmlinge erhalten bei weitem nicht mehr so viel Land, wie wir.

Unser Weinberg und unser Garten sichern uns ein gutes Auskommen. Die Fron, die wir im Sommer zu leisten haben und die Steuern sind erträglich. Und vor den Überfällen der Türken sind wir hier im Bergland sicher.

So scheinen wir hier also eine gute Heimat gefunden zu haben. Meine Familie wächst im Laufe der Jahre. Von den Kindern, die meine Magdalena mir geboren hat, hat uns der Herrgott im Jahr 1735, als wir als Einwohner von Tscholonok registriert werden, drei gelassen. Sie werden am Wachstum des Dorfes teilhaben.

Magdalena braucht sich nun kaum mehr zu fürchten, dass uns ein Unglück ereilen könnte. Nur ihre Furcht vor den Tsiganen wird sie nicht verlieren. Dann und wann kommen sie in die Dörfer und bieten ihre Waren, meist Waffen und Hausrat, und ihre Pferde feil. Sie sind von dunkler Hautfarbe, und man sagt, auch ihre Seelen seien dunkel.

Sie sollen kleine Kinder stehlen, und dafür ihre eigenen zurücklassen, um ihr Blut zu durchmischen.

Darum verschließen die Weiber Haus und Hof, wenn sie die Schellen und die Geigen der Tsiganen hören.

Als ich am ersten September 1746, mitten in der Erntezeit, am Herzschlag sterbe, zähle ich 68 Jahre. Ich bin froh, Bergheim verlassen zu haben und hier im Ungarenland eine neue Heimat gefunden zu haben.

 

Die bittere Armut, der Hunger und der Aberglaube der alten Heimat kommt hier kaum an.

Auch wenn uns Schwaben in weiter Zukunft noch ein schweres Los treffen soll.

               

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